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Nachhaltigkeitstrends (ESG) für 2022

MSCI hat im Dezember 2021 den zehnten 2022 ESG Trends to Watch Report veröffentlicht, in dem zehn Risiken bzw. Themen im Kontext der „Nachhaltigkeit“ vorgestellt sind. In diesem Artikel beleuchten wir eine Auswahl wichtigsten Risiken für uns Privatanleger und warum uns diese in den nächsten Jahren beschäftigen könnten.

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Im Jahr 2012 veröffentliche MSCI erstmals den s.g. ESG Trends to Watch Report[1]. Damals waren vor allem Themen wie der Klimawandel sowie der Wert von Human- und Naturkapital im Fokus, welche sich auch in dieser oder ähnliche Form in den darauf folgenden Jahren widerspiegelten. Andere Themen wiederum waren nur von kurzer Dauer, wie beispielsweise die Steuergerechtigkeit und Datensicherheit, die damals noch „Nischenthemen“ waren und heute quasi zum Standard gehören und von Unternehmen als wesentliche Risiken anerkannt und adressiert werden.

Aber was wird das Jahr 2022 und das kommende Jahrzehnt bringen?

MSCI hat im Dezember 2021 den zehnten 2022 ESG Trends to Watch Report veröffentlicht, in dem zehn Risiken bzw. Themen im Kontext der „Nachhaltigkeit“ vorgestellt sind[2]. In diesem Artikel beleuchten wir eine Auswahl von Risiken für uns Privatanleger und warum uns diese in den nächsten Jahren beschäftigen könnten. Den vollständigen Report von MSCI findet Ihr unter folgendem Link.

Ökologische Faktoren im Fokus – E steht über S & G

ESG bzw. das Thema Nachhaltigkeit soll zwar wie der Name impliziert gleichermaßen ökologische und soziale Kriterien sowie Faktoren der guten Unternehmensführung abdecken. Aktuell stehen jedoch vor allem die ökologischen (E, Environmental) Themen im Fokus, was vor allem die Bedrohung durch die globale Erderwärmung und die nicht mehr lang verbleibende Zeit widerspiegelt.

Unternehmen drängen auf Netto-Null-Emissionen entlang der Lieferkette – der neue „Amazon Effekt“

Die meisten von uns haben wohl bei bzw. über Amazon eingekauft, aber von wem bezieht Amazon oder die Verkäufer auf der Plattform Waren?

Unternehmen bzw. Vorstände weltweit verkünden Netto-Null-Ziele und dennoch stellt sich häufig die Frage: Wie sieht es mit den Lieferanten der Unternehmen aus? Die Unternehmen selbst arbeiten an einem Netto-Null-Ziel und könnten zukünftig auch auf die Lieferanten Druck ausüben, Treibhausgasemissionen (THG) zu reduzieren.

Beispielsweise benötigt fast jedes Unternehmen Energie bzw. Versorger in der vorgelagerten Lieferkette. Wenn Stromanbieter von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energien umschwenken, profitieren davon indirekt auch die nachgelagerten Unternehmen von eingesparten Emissionen. Ein weiteres besonders für Privatpersonen anschauliches Beispiel bezieht sich auf die Nutzung von Cloud-Anbietern, wie Amazon, Microsoft oder Apple. Laut Gartner[2] werden von vier Anbietern rund zwei-drittel (~66 %) des Gesamtmarktes im B2B-Geschäft abgedeckt[1]. Sollten diese Unternehmen beispielsweise Netto-Null-Ziele durch direkte und indirekte Emissionen (Scope 1 + 2) erreichen, würden sich die Emissionen für Unternehmen aus der vorgelagerten Wertschöpfungskette (Scope 3) um rund 0,5 %[1] der gesamten globalen Emissionen verringern.

Unternehmen versuchen jetzt auch die Emissionen in der Wertschöpfungskette zu verstehen, was laut MSCI vor allem durch die strengeren Regeln für die CO₂-Berichtspflichten durch die Regulierung begründet wird. Die meisten großen IT-Unternehmen haben sich zwar alle zu einem Netto-Null-Ziel bekannt, jedoch sind die Definitionen von „Netto-Null-Emissionen“ unterschiedliche umfassend. Kein IT-Unternehmen kann jedoch Emissionen der vorgelagerten Lieferkette (Scope 3 Emissionen) verringern, ohne deren Zulieferer – von beispielsweise Chips oder Servern – zu animieren, einem ähnlichen Beispiel zu folgen.

Das Kohle-Dilemma: Veräußerung oder Engagement von CO₂-intensiven Investitionen

Das Ziel ist häufig ein Portfolio mit Netto-Null-Emissionen aufzubauen. Divestments aus fossilen Energieträgern (Veräußern von investierten Vermögenswerten, die im Zusammenhang mit fossilen Energieträgern stehen) scheinen dafür häufig der einfachste Weg zu sein. Bisher war das auch für institutionelle Investoren eine Möglichkeit, Unternehmen auf die Energiewende aufmerksam zu machen. Laut MSCI wird es jedoch kaum reichen, um damit die gesamte Wirtschaft auf Netto-Null-Emissionen zu bringen.

Eine Antwort auf die Frage, wie ein klimaneutrales Portfolio aufgebaut werden kann, ist das einfache „entfernen“ von CO₂-intensiven Versorgern oder Energieunternehmen. Dieser Ansatz wird beispielsweise durch die gängigen nachhaltigen ETFs mit einfachen Ausschlusskriterien verfolgt.

Am Beispiel eines hypothetischen Portfolios, das auf dem MSCI ACWI Index basiert, würden zum Stand des MSCI-Reports 69 Aktien ausgeschlossen. Das führt zu 19,5 % weniger Emissionen, während nur 1,65 % der Portfolio-Gewichtung aufgegeben wird. MSCI führt jedoch zwei Gründe auf, warum das wahrscheinlich zu kurz gedacht ist:

Erstens, Divestments hätten wenig direkten Einfluss auf die realen Emissionen oder globale Erwärmung. Denn nur weil ein kleiner Teil der Anleger bestimmte ökologische fragwürdige Unternehmen aus dem Portfolio entfernen, werden dadurch nicht direkt Emissionen eingespart. Das Unternehmen existiert – zumindest für einen bestimmten Zeitraum und solange es noch ausreichend Anleger gibt – weiterhin.

Zweitens, Unternehmen verfolgen unterschiedliche Klimaziele und steuern laut MSCI in große unterschiedliche Richtungen – in Bezug auf die theoretische Auswirkung auf die Erderwärmung.

MSCI beschreibt es ganz passend: In den letzten Jahren wurde über die unterschiedlichen Vorteile von Veräußerungen vs. Beteiligungen als Mittel zur Reduzierung von CO₂-Emissionen diskutiert. Mittlerweile gehen Unternehmen oder Regierungen – und damit regulatorische Vorgaben und Ziele – teilweise unterschiedliche Wege bzw. planen mit abweichenden Zeithorizonten. Deshalb sollten wir Anleger beide Möglichkeiten (Des- oder Investition) geschickt verwenden, um damit vielleicht einen kleinen Beitrag zur klimapolitischen Diskussion zu leisten.

Greenwashing geht mit einheitlicher ESG-Terminologie zurück

Investitionen in ESG Fonds waren 2021 auf einem Höhepunkt und haben vor allem in Europa neue Rekorde verzeichnet[3]. Nichtsdestotrotz gibt es immer wieder (berechtigte?) Kritik an den verschiedenen ESG-Bewertungen. Unternehmen haben großen Anreiz gute ESG-Bewertungen von den großen Ratingagenturen zu erhalten, da diese häufig als Basis oder Unterstützung für nachhaltige Anlagen wie Fonds dienen. Und je nach Methodik der Ratingagenturen unterscheiden sich die ESG-Bewertungen einzelner Unternehmen teilweise leider deutlich.

Laut MSCI gibt es aber auch positives zu berichten: Es scheint einen vermehrten Trend zur einheitlichen Terminologie zu geben, der auch zu mehr Transparenz führt und damit hoffentlich die Investitionsentscheidung erleichtert. Damit werden hoffentlich die „grünen Anstriche“ auf Fonds erschwert und die Begründung „nachhaltiger Behauptungen“ erleichtert.

Institutionelle Anleger haben bereits heute zahlreiche Möglichkeiten Fonds und Unternehmen zu bewerten. Dazu zählen beispielsweise die Transparenz-Berichte von PRI, die Offenlegungsstandards vom CFA Institute oder auch die MSCI ESG Fonds Bewertungen.

Für Privatanleger gibt es dagegen bisher weniger einfach verständliche Lösungen zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Investitionen. Seit März 2021 beispielsweise müssen Kapitalanlagegesellschaften (KAG) auf Fondsprospekten die gemäß der EU Offenlegungsverordnung (Sustainable Finance Disclosure Regulation, SFDR) erforderlichen Nachhaltigkeit-Klassifizierungen veröffentlichen. Mit weiteren Konkretisierungen der SFDR und Anforderungen durch die nationale Aufsichtsbehörde (in Deutschland die BaFin) könnten diese zukünftig sogar noch erweitert werden.

Vor allem Fonds, die nach ESG-Kriterien investieren, sind besonders divers: Auch wenn Fonds in der Bezeichnung das Kürzel „ESG“ führen, verfolgen diese teilweise sehr unterschiedliche Ziele und verfolgen individuelle Nachhaltigkeitsansätze. „Greenwashing“ könnte in der Zukunft deutlich erschwert werden, wenn weitere Offenlegungspflichten dazu führen, dass ESG Ziele, Ansätze und Kriterien Teil von neuen etablierten Standards werden.

ESG-Bewertungen bleiben spezifisch und werden keine ganzheitliche Nachhaltigkeitsperspektive abbilden können

Laut MSCI verstanden und nutzen noch vor einem Jahrzehnt nur „eine Handvoll“ Investoren ESG-Ratings. Heutzutage sieht es dagegen häufig anders aus: Investoren, Unternehmen, Medien und auch die Öffentlichkeit erwarten ESG-Ratings, um verschiedene Fragen beispielsweise hinsichtlich der Klimafreundlichkeit oder Diversität auf Vorstandsebene zu beantworten. Aber MSCI beschreibt es treffend: Eine ESG-Bewertung bleibt, was es schon immer war; eine Linse für spezifische Dimensionen der vielen Nachhaltigkeitskriterien, die bestimmten Stakeholdern wichtig sind.

Auch, wenn ESG-Bewertungen der verschiedenen Ratingagenturen zukünftig noch schärfer abgegrenzt werden sollten, sind diese für Anleger mit Nachhaltigkeitsinteressen wohl unabdingbar, um zumindest einen ersten Eindruck über die verschiedenen Kennzahlen und ESG-Kriterien einzelner Unternehmen, Fonds, Indizes oder anderen Investitionsmöglichkeiten zu bekommen.

Privatanleger sollten jedoch nicht erwarten, dass es eine einheitliche Kennzahl oder Kriterium für „Nachhaltigkeit“ geben wird. Sondern stattdessen verschiedene Quellen für die Bewertung von einzelnen Kriterien nutzen und mit den eigenen Nachhaltigkeitsansprüchen abgleichen.

Kaffee oder Fleisch: Biodiversität und die Zukunft unserer Ernährung

Etwa ein Drittel der weltweiten Treibhausgase fallen auf das weltweite „Ernährungssystem“ – damit sind alle Elemente und Aktivitäten in Bezug auf die Produktion, Verarbeitung, Vertrieb und Konsum von Nahrung inkludiert[4].

Kaffee beispielsweise wird zu großen Teilen in Brasilien angebaut, hergestellt und von dort exportiert – was zu Teilen mit dem Amazonas-Regenwald zusammenhängt. Die Bohnen benötigen besondere Bedingungen zum Anbau: warm, mit hoher Luftfeuchtigkeit; nicht zu kalt, aber auch nicht zu warm. Brasilien konnte im Jahr 2021 keine gute Ernte einfahren, da das Jahr vor allem durch eine schlimme Dürre gezeichnet war und deshalb der Preis für Kaffee deutlich anstieg[1]. Laut MSCI könnte sich das bis 2050 noch verschlimmern und geeignete Flächen für den Anbau von Kaffeebohnen halbiert werden.

Ein weiteres Beispiel bezieht sich auf den seit Jahren anhaltenden Trend von „alternativen Proteinquellen“. Unabhängig ob diese aus Pflanzen oder im Labor hergestellt sind, werden dafür keine Anbauflächen vom Regenwald benötigt.

Zusammengefasst ist wohl ein entscheidender Punkt: Wer am nächsten Tag eine heiße Tasse Kaffee trinken möchte, sollte bereits heute eine fleischlose Alternative finden.

Ähnliches gilt wahrscheinlich für das eigene Portfolio: Ein genauer Blick auf die Unternehmen im Depot und welche strategischen Ziele und Pläne diese bezüglich der zukünftigen Ernährung verfolgen, kann wohl nicht schaden.

Fazit

Zusammengefasst sieht MSCI für die kommenden Jahre im Kontext von ESG und Nachhaltigkeit vor allem ökologische Themen im Fokus, die sich beispielsweise auf den zukünftigen Fokus von Unternehmen auf Netto-Null der gesamten Wertschöpfungs- bzw. Lieferkette beziehen. Darüber hinaus könnten private Unternehmen ebenfalls in den Fokus gelangen, da bisher vor allem die durch Private Equity finanzierten Unternehmen bisher wenig Auskunft darüber geben. Zusätzlich scheint ESG im Mainstream angekommen zu sein. Mittelzuflüsse in s.g. ESG Fonds wurden bisher jährlich übertroffen. Und zuletzt werden sich wohl auch die Nahrungsmittelindustrie und Landwirtschaft zukünftig einem Wandel unterziehen.

Neben den von MSCI aufgeführten wichtigen Themen für die „nachhaltige Zukunft“, sehen wir vor allem für Privatanleger ein scheinbar nicht mehr aufzuhaltenden Trend von „nachhaltigen“ Anlagemöglichkeiten. Auf der einen Seite werden jährlich mehr nachhaltige Fonds und Anleihen emittiert und auf der anderen Seite werden von KAGs bisher konventionelle Fonds auf „nachhaltige“ bzw. ESG-Angebote angepasst. Vielleicht in gar nicht mehr so ferner Zukunft werden „nachhaltige“ Fonds und ETFs den europäischen Markt dominieren und konventionelle Indizes könnten die Ausnahme sein – mal sehen, was die Zeit bringt.

Anmerkungen & Quellen

Daten und Informationen, Stand: 20.12.2021

Titelbild: Jw. (Unsplash)

[1] MSCI (2021): 2022 ESG Trends to Watch. MSCI ESG Research. Linda-Eling Lee, Meggin Thwing Eastman. December 2021.
https://www.msci.com/research/2022-esg-trends-to-watch

[2] Gartner (2021): Gartner Says Worldwide IaaS Public Cloud Services Market Grew 40.7% in 2020. Press Release. 28.06.2021.

[3] Morningstar (2021): Vermögen nachhaltiger Fonds weltweit wächst auf fast 4 Billionen Dollar. 22.11.2021.
https://www.morningstar.de/de/news/216993/verm%C3%B6gen-nachhaltiger-fonds-weltweit-w%C3%A4chst-auf-fast-4-billionen-dollar.aspx

[4] IPCC (2019): Climate Change and Land. An IPCC Special Report on climate change, desertification, land degradation, sustainable land management, food security, and greenhouse gas fluxes in terrestrial ecosystems. https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/sites/4/2021/02/210202-IPCCJ7230-SRCCL-Complete-BOOK-HRES.pdf

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