Der Indexanbieter MSCI erweiterte Ende Oktober[1] das unternehmenseigene MSCI ESG Rating Suchtool um die neue Kennzahl Impliziter Temperaturanstieg („Implied Temperature Rise“). Diese Erweiterung gibt uns Anlegern die Möglichkeit, Klimaziele von über 2.900 börsennotierten Unternehmen abzurufen, indem es deren Verpflichtungen zu Netto-Null-Emissionen („net-zero emissions“) bewertet. In diesem Artikel beleuchten wir die neuen Funktionalitäten und wie wir diese als Privatanleger für uns nutzen können.

1. MSCI und ESG Ratings

MSCI ist einer der größten Anbieter von sogenannten ESG-Ratings und nutzt diese auch für die Bewertung, Auswahl oder Ausschluss von Unternehmen für nachhaltige MSCI Aktien-Indizes. Bisher war das öffentlich verfügbare MSCI ESG Rating Suchtool beschränkt auf die ESG-Ratings und daraus abgeleitet qualitative Nachhaltigkeitskriterien. Börsennotierte Unternehmen werden in eine von sieben ESG-Ratings bewertet (von AAA bis CCC) und erhalten basierend auf dem ESG-Rating eine Klassifizierung wie Leader (führend), Average (durchschnittlich) oder Laggard (Nachzügler). Darüber hinaus gibt es eine Übersicht zu historischen ESG-Bewertungen sowie wesentlichen Schlüsselfaktoren der einzelnen Unternehmen. In diesem Artikel haben wir uns die DAX 40 Unternehmen und deren MSCI ESG-Ratings angesehen und diese mit zwei weiteren bekannten ESG-Ratings verglichen.

Seit Ende Oktober enthält das Suchtool eine weitere Nachhaltigkeitsmetrik börsennotierter Unternehmen, welche sich auf die ökologische (E) Säule von ESG fokussiert. Diese wird als Implied Temperature Rise betitelt und gibt an, wie sich die Emissionen von Unternehmen auf das 2°C-Klimaziel auswirken und wie hoch der implizite Temperaturanstieg durch die Emissionen einzelner Unternehmen ist.

2. Funktionsweise und Bewertung des impliziten Temperaturanstiegs

Der implizite Temperaturanstieg (Implied Temperature Rise) soll laut MSCI[1] für Klarheit und Transparenz bezüglich den Klimabekenntnissen einzelner Unternehmen sorgen. Diese Kennzahl bewertet die Ausrichtung von Unternehmen an den globalen Klimazielen und kann uns Privatanlegern als weitere Entscheidungsgrundlage bei der nachhaltigen Geldanlage unterstützen.

2.1. Ermittlung des unternehmensspezifischen impliziten Temperaturanstiegs

MSCI beschreibt die Berechnung des impliziten Temperaturanstiegs für einzelne Unternehmen anhand von vier Schritten[2] – siehe dazu auch unten aufgeführte Abbildung:


MSCI Implied Temperature Rise
Berechnungsschritte zur Ermittlung des impliziten Temperaturanstiegs einzelner Unternehmen in Grad Celsius (Eigene Darstellung basierend auf MSCI[2]).

1. Zuordnung der CO₂-Budgets

MSCI berechnet ein sogenanntes „globales 2°C-CO₂-Budget“ basierend auf dem verbleibenden globalen CO₂-Budgets, welches zur Vermeidung der Erderwärmung auf über 2 °C zur Verfügung steht und vom IPCC[3] ermittelt wird. Dieses globale 2°C-CO₂-Budget wird auf einzelne Unternehmen aufgeteilt und ist abhängig davon, in welcher Branche, Land und Geschäftsbereich das jeweilige Unternehmen aktiv ist, um so einen „fairen Anteil“ zu ermitteln.

2. Prognose der zukünftigen Emissionen

Für jedes Unternehmen prognostiziert MSCI die jährlichen direkten und indirekten (Scope 1, 2 und 3 Emissionen nach Greenhouse Gas Protocol[4]) Emissionen in absoluten CO₂-Äquivalente bis zum Jahr 2070. Diese werden anhand der aktuellen Emissionen und den veröffentlichen Reduktionszielen der Unternehmen berechnet.


Exkurs: drei Emissionskategorien

MSCI verwendet für die Aufteilung der unternehmensspezifischen Treibhausgasemissionen, die vom World Resources Institute etablierten drei Scopes des Greenhouse Gas Protocoll (GHG-Protocol)[4,5].

Scope 1
Direkte Emissionen
Scope 2
Indirekte Emissionen
Scope 3
Indirekte Emissionen
Treibhausgase direkt durch das Unternehmen verursachtTreibhausgase indirekt durch die vom Unternehmen zugekaufte Elektrizität verursachtTreibhausgase indirekt durch die Produkte/Dienstleistungen der Unternehmen verursacht
Verbrennung von Rohstoffen in eigenen ÖfenZukauf von Strom zum Betrieb (Heizung, Kühlung, Maschinenbetrieb, etc.)Zukauf von Waren oder Energieträgern, Transport und Vertrieb von Produkten, Entsorgung von Abfällen, Geschäftsreisen, Nicht-unternehmenseigene Gebäude oder Maschinen
Die drei Emissionskategorien (Scopes, Geltungsbereiche) nach GHG[4].

Scope 1-Emissionen (auf Deutsch seltener: Geltungsbereiche) oder auch direkte Emissionen beziehen sich auf die Emissionen, welche aus direkten Quellen des Unternehmens stammen oder vom Unternehmen kontrolliert werden. Dazu zählen beispielsweise: die Verbrennung von Stoffen oder Abgase aus nicht-gemieteten/geleasten Fahrzeugen.

Scope 2-Emissionen beziehen sich auf die verursachten indirekten Emissionen eines Unternehmens durch die Verwendung von Elektrizität, welche beispielsweise von Unternehmen erworben werden.

Scope 3-Emissionen umfassen weitere indirekte Emissionen, die durch Aktivitäten wie Geschäftsreisen, Vertrieb von Produkten durch Dritte und auch die nachgelagerte Nutzung der Produkte durch die Kunden entstehen.


3. Berechnung der Über-/Unterschreitung des CO₂-Budgets

Die Differenz aus dem unternehmensspezifischem CO₂-Budget und den prognostizierten Emissionen resultiert je nach Ergebnis in einer Über- oder Unterschreitung des CO₂-Budgets. Dieses Ergebnis wird schließlich in eine relative Größe (Prozent, %) umgerechnet.

4. Ermittlung: Unternehmensspezifischer impliziter Temperaturanstiegs

Zur Ermittlung des impliziten Temperaturanstiegs werden die relative Über-/Unterschreitung des CO₂-Budgets sowie der TCRE-Faktor (Transient Climate Response to Kumulative Emissions, TCRE) verwendet. Daraus ergibt sich ein durchschnittlicher impliziter Temperaturanstieg einzelner Unternehmen in diesem Jahrhundert.

2.2. Was bedeutet impliziter Temperaturanstieg?

Der implizite Temperaturanstieg in Grad Celsius je Unternehmen ist die theoretische Messgröße für die Über- oder Unterschreitung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperaturen in diesem Jahrhundert. MSCI klassifiziert Unternehmen in drei Abstufungen:

  1. Grün: „2 °C Alinged“, impliziter Temperaturanstieg kleiner als 2 °C
  2. Gelb: „Misaligned“, impliziter Temperaturanstieg zwischen 2 °C und 3,85 °C
  3. Rot: „Lagging“, impliziter Temperaturanstieg höher als 3,85 °C

Eine impliziter Temperaturanstieg von beispielsweise 1,5 °C bedeutet, dass ein Unternehmen voraussichtlich das individuelle CO₂-Budget nicht überschreitet, welches die Erderwärmung auf 1,5 °C begrenzen würde. Unternehmen mit einem impliziten Temperaturanstieg von 2 °C, werden als „2 °C Aligend“ klassifiziert und sind im Einklang mit dem globalen Temperaturziel, die Erderwärmung in diesem Jahrhundert unter 2 °C zu halten.

Im Gegensatz dazu bedeutet „Misaligned“, dass Unternehmen unter den aktuellen Bedingungen und ohne weitere Maßnahmen die globalen Klimaziele überschreiten würden. Und „Lagging“-Unternehmen (Schlusslichter im Bereich Klimaziele) würden voraussichtlich zu einer drohenden Klimakatastrophe beitragen.

3. Wofür und wie können Privatanleger diese Informationen nutzen?

Analog zu den bisher von MSCI zur Verfügung gestellten ESG Ratings, haben wir Privatanleger die Möglichkeit für einzelne Unternehmen weitere Kennzahlen zur Klimaveränderung abzufragen.

Neben des beschriebenen impliziten Temperaturanstiegs inklusive Klassifizierung in Aligned, Misaligned und Lagging, werden verschiedene Ziel-Kenngrößen für die bewerteten Unternehmen aufgeführt. Dazu zählen beispielsweise, ob das Unternehmen ein Ziel für die Dekarbonisierung festgelegt hat und wenn ja, welches Zieljahr angegeben wurde. Darüber hinaus auch Informationen zur s.g. „Abdeckung“, also wenn das Ziel noch nicht erreicht wurde, wie viel Prozent vom jeweiligen Ziel bereits erreicht wurde.

Diese Kennzahlen können vor allem für Anleger mit dedizierten Interessen über die Einflüsse einzelner Unternehmen zur Klimaerwärmung relevant sein, um beispielsweise die Ausrichtung des eigenen Portfolios aus Einzeltiteln anzupassen oder auszuwählen. Aber auch für die Auswahl oder Ausschluss von einzelnen Unternehmen in einem Portfolio aus Aktien-Fonds. Denn neben vielen ESG-Ratings und Kennzahlen waren bisher wenige Informationen zum Einfluss auf die Klimaveränderung auf Basis einzelner Unternehmen öffentlich frei verfügbar. MSCI hat damit einen Schritt in Richtung mehr Transparenz für Anleger gemacht, welche über eine Quelle relevante Nachhaltigkeitsinformationen suchen.

Fehler entdeckt – Hinweis oder Frage loswerden?

Lass es uns gerne wissen und kontaktiere uns via: [email protected]

Wir versuchen uns zeitnah bei Dir zu melden bzw. Deine Anmerkung(en) einzuarbeiten.

Vielen Dank!

Anmerkungen & Quellen


Daten und Informationen, Stand: 15.10.2021

Titelbild: Marek Piwnicki (Unsplash)

[1] MSCI (2021a): MSCI makes Implied Temperature Rise data of over 2,900 companies publicly available. Pressemitteilung. 27.10.2021.
https://www.msci.com/documents/10199/c8352f67-7eb8-4571-a277-5e1621dded9e

[2] MSCI (2021b): Implied Temperature Rise Methodology. MSCI Research. September 2021.
https://www.msci.com/documents/1296102/27422075/Implied-Temperature-Rise-Methodology-Summary.pdf

[3] IPCC Special Report (2018): Mitigation Pathways Compatible with 1.5°C in the Context of Sustainable Development. Chapter 2, Table 2.2.
https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/sites/2/2019/02/SR15_Chapter2_Low_Res.pdf

[4] World Resources Institute (2004): The Corporate Greenhouse Gas Protocol. A Corporate Accounting and Reporting Standard. Revised Edition.
https://ghgprotocol.org/sites/default/files/standards/ghg-protocol-revised.pdf

[5] MSCI (2021c): MSCI Climate Data & Metrics. Overview.
https://www.msci.com/our-solutions/esg-investing/climate-solutions/climate-data-metrics