Früher dachte ich, dass es ab dem 40. Lebensjahr sinnvoll wäre, einen kleinen Teil meines Portfolios in Anleihen anzulegen.
Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, ob diese Strategie wirklich zu mir passt.
Ein bekannter Ratschlag für langfristige Anleger besagt, dass wir mit zunehmendem Alter unseren Aktienanteil reduzieren und Anleihen beimischen sollten, oder ob Anleihen überhaupt ins Portfolio gehören. Eine neue Forschungsarbeit kommt zu einem etwas anderen Schluss, zumindest unter bestimmten Voraussetzungen.
Die traditionelle Empfehlung für langfristige Anleger
Wenn es um die Portfoliozusammenstellung geht, haben sich verschiedene Theorien und Varianten etabliert, die sich je nach Lebensphase oder Verlauf leicht unterscheiden.
Die meisten Portfoliovorschläge beinhalten einen Mix aus Aktien und Anleihen. Häufig wird beispielsweise von konservativen oder risikofreudigeren Varianten gesprochen. Das wird dann beispielsweise als „defensives Portfolio“ für Vorsichtige bezeichnet und enthält beispielsweise 25 % Aktien und 75 % Anleihen. Das Gegenstück dazu sind die „offensiven Portfolios“, bei denen es umgekehrt ist: 25 % Anleihen und 75 % Aktien.
Es gibt auch etablierte Faustregeln, die beispielsweise besagen, dass 100 minus dem Alter den Aktienanteil im Portfolio ergibt. Für 30-Jährige würde es beispielsweise bedeuten, dass 70 % des Portfolios aus Aktien bestehen sollten und 30 % aus Anleihen.
Eins haben diese Portfoliovorschläge meist gemeinsam: Mit höherem Alter wird der Anleihenanteil erhöht.
Risiko-Rendite-Verhältnis neu betrachtet: Aktien vs. Anleihen
Aber warum ist die Aufteilung in Aktien und Anleihen so beliebt in der Vermögensallokation?
Vereinfacht wird zwischen Risiko-Rendite-Verhältnissen unterschieden.
Aktien werden beispielsweise als viel risikoreicher betrachtet, da die zugrunde liegenden Schwankungen viel höher sind als bei anderen Anlageklassen. Was wir am Aktienkurs gut verfolgen können und uns auch gut vorstellen können.
Anleihen dagegen werden meist als weniger risikoreich bzw. risikoärmer angesehen, da wir mit Anleihen historisch weniger starke Schwankungen beobachten konnten.
Diese Schwankung des Vermögens ist auch die zugrunde liegende Annahme hinter der bliebten Portfolioaufteilung in Aktien und Anleihen. Wir gleichen mit Anleihen im Portfolio, die kurzfristigen Schwankungen der Aktien aus.
Und mit höherem Alter soll das Portfoliovermögen noch weniger Schanwankungen unterliegen und deshalb der Anleihenanteil immer weiter erhöht werden, was ja durchaus sinnvoll klingt. Wer will schon im hohen Alter, wenn es beispielsweise um den Verzehr des Vermögens in der Rentenphase geht, dass ein Portfolio kurzfristig um 50 % abstürzt?
Aber fairerweise könnte es uns vielleicht auch egal sein, je nachdem, wie lang unsere Lebenserwartung ist und wie hoch unser Vermögen ist. Plus, was immer gerne unterschlagen wird: Wir müssen ja auch nicht alles zu diesem theoretischen Crash ausgeben, sondern könnten auch die kurzfristigen -50% im Portfolio „aussitzen“.
Vielleicht sollten wir unser Portfoliorisiko danach ausrichten, ob wir unser erwartetes Gesamtvermögen erreichen können, und vielleicht gar nicht, wie stark unsere Vermögenswerte schwanken?
Anleihen im Portfolio: Überbewertet oder unverzichtbar?
Aber was ist jetzt besser für langfristige Anleger? Ein Portfolio aus Aktien und Anleihen, also eine Mischung von verschiedenen Risikoprofilen? Oder sind Anleihen gar nicht nötig?
Eine neue Arbeit aus den USA kommt zu dem Schluss, dass Anleihen möglicherweise nicht notwendig sind, selbst im fortgeschrittenen Rentenalter. Dies gilt jedoch nur unter der Bedingung, dass international diversifiziert wird.
Für die Untersuchung wurden verschiedene Anlagestrategien bzw. Vermögensallokationen herangezogen und miteinander verglichen. Von reinen Aktienstrategien bis zu reinen Anleihestrategien, über Zwischenstufen, also ein Mix aus Anleihen und Aktien, und ein Mix aus internationalen und lokalen Aktien.
Um herauszufinden, was optimal für die Vermögensbildung, die Konsumfähigkeit im hohen Alter und insgesamt das Nettovermögen im hohen Alter ist.
Dazu haben die Forscher historische Renditedaten ausgewertet und dann simuliert. Das ergab insgesamt mehr als eine Million Renditeszenarien aus nationalen und internationalen Aktien, Unternehmensanleihen und Staatsanleihen – insgesamt 38 Industrieländern im Zeitraum von 1890 bis 2019.
Diese Datengrundlage wurde als Basis herangezogen, um den Lebensverlauf eines US-amerikanischen Paares zu simulieren. Ein Paar, das mit 25 Jahren beginnt zu sparen und nach 40 Jahren mit 65 in Rente geht. Während der Sparphase wird 10 % des Einkommens gespart und investiert, was zur Vermögensbildung angelegt wird. Während der Rentenphase wird jährlich 4 % vom Vermögensportfolio ausgegeben, wobei zusätzlich noch staatliche Rentenansprüche („Social Security Benefits“) berücksichtigt wurden.
Simulationsergebnisse: Internationale Diversifikation ist wichtig
Und jetzt das doch etwas überraschende Ergebnis für US-Anleger: Eine optimale Portfolioaufteilung ergab sich aus 50 % US-Aktien und 50 % internationalen Aktien, also gar keine Anleihen.
Für Nicht-US-Anleger gab es eine leichte Verbesserung der untersuchten Faktoren einer Portfolioaufteilung von 35 % lokalen Aktien und 65 % internationalen Aktien während der gesamten Lebensphase. Unter lokalen Aktien können im Modell der Autoren Aktien aus der lokalen Währung verstanden werden. Für Anleger aus Europa beispielsweise würde das bedeuten, 35 % Aktien aus dem Euroraum und 65 % internationale Aktien zu halten.
Langfristige Vermögensbildung ohne Anleihen: Eine realistische Option?
Und das ist nicht die einzige überraschende Erkenntnis: Selbst ein kleiner Anteil Anleihen im Portfolio bringt keine besseren Ergebnisse in der Simulation. Auch wenn Anleihen zwar weniger stark schwanken als Aktien, hatten Anleihen langfristig ein höheres Verlustrisiko. Und zwar für unsere Kaufkraft. Und auch nach einem Börsencrash erholten sich Anleihen nicht so gut wie Aktien.
Man könnte also fast sagen, dass Anleihen langfristig in Bezug auf unsere Gesamtrendite riskanter sind als Aktien.
Was aber nicht heißt, dass Aktien sicherer sind. Auch wenn das alles danach klingt, dass ein reines Aktienportfolio optimal sei.
Es gibt auch einen Haken. Ein Autor der Studie wurde in einem Bloomberg-Artikel folgendermaßen zitiert: „Solange Aktienanleger in der Lage sind durchzuhalten, sind sie am Ende mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit besser dran als jemand, der versucht, die kurzfristigen Schwankungen mit Anleihen auszugleichen.“
„In der Lage sein durchzuhalten“, klingt so einfach. Aber dieser psychologische Effekt, die großen Schwankungen durchzustehen, was vor allem im Ruhestand mental wahrscheinlich nicht immer einfach zu verkraften ist, wenn nicht mehr regelmäßige Einkommen die Regel sind.
Wie viel Schwankung wir ertragen können, ist jedoch höchst individuell und nur schwer messbar. Denn unsere Risikotoleranz hängt unter anderem von unseren bisherigen Erfahrungen ab – also wie viel wir jemals ertragen mussten und wie viel Vermögen wir zu diesem Zeitpunkt hatten.
Langfristige Renditeperspektiven: Aktien vs. Anleihen
Nichtsdestotrotz ist es schön zu sehen, dass ein reines Aktienportfolio auch langfristig über eine gesamte Lebensphase gute Resultate erzielen kann. Dennoch, einen Preis müssen wir dafür zahlen: hohe Buchverluste, die zwar nicht realisiert werden müssen, aber häufig dazu führen, dass Anleger schlechtere Renditen erzielen als einfache Indizes.
Heißt das jetzt also, dass wir unsere Anleihen sofort verkaufen sollten oder besser gar keine kaufen sollten, wenn wir noch keine haben?
Die Arbeit der Autoren wurde zwar bisher positiv aufgenommen und eingeordnet. Wie repräsentativ die Daten für die Zukunft sind wissen wir nicht.
Plus: Nicht jeder möchte mit regelmäßig hohen Verlusten leben, sondern lieber „nachts besser schlafen können“ und dafür ein bisschen weniger Vermögen aufbauen. Was ja vollkommen okay ist.
Die Jagd nach jedem Prozentpunkt Rendite wird manchmal ein bisschen übertrieben und zu sehr auf die Spitze getrieben.
Aber selbst wer dann eine der gezeigten Strategien mit Anleihen verfolgt und vielleicht auch im Alter den Anleihenanteil erhöhen möchte, muss auch daran denken, diesen in regelmäßigen Abständen zu erhöhen. Und das ist mit einer einfachen Aktienstrategie weniger nötig.
Neue Perspektiven für die Vermögensallokation: Aktien, Anleihen und individuelle Risikotoleranz
Was sollten Anleger aus den neuen Erkenntnissen für die eigene Vermögensaufteilung mitnehmen?
Ich glaube, für Anleger, die einen lebenslangen Anlagehorizont haben, ist es wichtig zu verstehen, dass die Portfolio-Schwankung nicht die einzige Risikokennzahl sein muss.
Aber bei risikoreicheren Anlagen, und dazu zählen auch Aktien, müssen wir große Verluste hinnehmen können, auch wenn es nur Buchverluste sind.
Schlussendlich sollten wir uns mit unserem Portfolio wohlfühlen, ob mit oder ohne Anleihen. Auch wenn wir nie sicher wissen, wie das Ergebnis in der Zukunft aussehen wird.
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Anmerkungen & Quellen
Daten und Informationen, Stand: 08.02.2024
Titelbild: Brandi Redd auf Unsplash
Das Investement (2017): Erster Robo-Advisor macht Lebenszyklusfonds Konkurrenz.
comdirect Magazin (2022): Geldanlage: Was ist eine Asset Allocation?
Money Group (2018): This is How Much Money You Should Have in Stocks — at Every Age.
Anarkulova, A., Cederburg, S., & O’Doherty, M. S. (2023). Beyond the Status Quo: A Critical Assessment of Lifecycle Investment Advice. Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=4590406
Rational Reminder (2023): Episode 284: Prof. Scott Cederburg: Challenging the Status Quo on Lifecycle Asset Allocation.
Bloomberg, Lu Wang (2023): You’re Better Off Going All In on Stocks Than Bonds, New Research Finds.
Dalbar’s Quantitative Analysis of Investor Behavior report (QAIB).
Rational Reminder Podcast (2023): Episode 281. https://rationalreminder.ca/podcast/281
Rational Reminder Podcast (2023): Episode 284. https://rationalreminder.ca/podcast/284