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Geld erfolgreich anzulegen, Vermögen aufzubauen oder die Altersvorsorge zu sichern – all das erfordert weder ein besonderes Talent noch einen akademischen Abschluss. Jeder kann es lernen. Doch wer sich intensiver mit Themen wie ETFs oder Vermögensaufbau beschäftigt, kann schnell der Meinung sein, bereits alles Wichtige zu wissen. Meine steile These: Das ist für die meisten von uns, mich eingeschlossen, schlichtweg falsch.

In diesem Artikel schauen wir uns deshalb 12 knifflige Finanzfragen für Fortgeschrittene und Profis an. Welche Renditen können Anleihen langfristig abwerfen? Wozu dient die Standardabweichung unserer Rendite? Und was hat es mit der mentalen Buchführung auf sich?

Teste Dein Finanzwissen selbst und finde heraus, wie sicher Du Dir wirklich bist!

Warum überschätzen wir oft unser Finanzwissen?

Beim Lernen und der Aufnahme neuer Informationen gibt es ein bekanntes Sprichwort:

Je inkompetenter eine Person, desto größer das Selbstbewusstsein.

Auch, wenn es um unser Finanzwissen geht, ist dieses Sprichwort zu beobachten. Der Verlauf kann folgendermaßen beschrieben werden:

  • Überschätzung: Wenn wir zum ersten Mal viele neue Informationen zu Finanzen aufnehmen, neigen wir dazu, uns zu überschätzen. Unser Selbstvertrauen ist hoch, obwohl unser Wissen noch sehr begrenzt ist.
  • Tal der Verzweiflung: Mit zunehmendem Wissen und Verständnis nimmt das Selbstvertrauen oft ab. An diesem Punkt erkennen wir, dass das Thema Finanzen komplexer ist, als wir ursprünglich dachten.
  • Langsame Verbesserung: Mit steigender Kompetenz entwickelt sich ein realistisches Bild unserer Fähigkeiten. Dies ist ein wichtiger Schritt, bevor wir teure Fehler machen.

Übrigens wird dieser Verlauf häufig fälschlicherweise mit dem „Dunning-Kruger-Effekt“ beschreiben. Auch wenn der die anfängliche Überschätzung und der darauffolgende Abfall des Selbstvertrauens – oder „Mount Stupid“ – von Dunning und Kruger wissenschaftlich nicht beobachtet werden konnte, ist es für die Praxis ein doch anschauliches Bild und scheint nachvollziehbar.

Wie sieht es in der breiten Bevölkerung mit dem Finanzwissen aus?

Neigen wir als Gesellschaft zu übermäßigem Selbstvertrauen, auch im Bereich Finanzen?

Eine globale Finanzbildungsstudie der OECD von 2023 zeigte, dass Erwachsene in Deutschland im internationalen Vergleich mit 39 OECD Ländern ein überdurchschnittlich hohes Finanzkompetenzniveau haben.

Doch hinter dieser Aussage verbirgt sich ein Problem: Die getestete Kompetenz basiert oft auf relativ einfachen Fragen. Dies könnte bei vielen zu einem überzogenen Selbstvertrauen führen.

Auch wenn einfache Tests positive Ergebnisse liefern, bleibt die Realität beim Thema Vermögensaufbau und Altersvorsorge komplexer. Es gibt immer noch mehr zu lernen – und die Komplexität der Finanzwelt sollte nicht unterschätzt werden.

Was ist Finanzwissen für Fortgeschrittene?

Welche Themen solltest Du beim Thema Geldanlage, Vermögensaufbau und Altersvorsorge noch kennen, die sich tendenziell eher an Fortgeschrittene richten?

Ich habe dazu 12 Fragen für Fortgeschrittene und die, die es werden wollen, zusammengestellt (hier findet ihr noch mehr Quizze und die Inspirationsquelle).

Frage 1: Staatsanleihen und langfristige Rendite

Wer im Jahr 1970 damals 1.000 USD in eine bis zum Jahr 2024 reichende Serie an US-Staatsanleihen investiert hätte, wie viel Geld hätten wir dann ungefähr Anfang 2024?

A: 300 USD

B: 3.000 USD

C: 30.000 USD

D: 300.000 USD

Lösung
Richtige Antwort C: ungefähr 30.000 USD – wobei hier keine Inflation berücksichtigt wurde. Quelle: ODAD (2024).

Frage 2: Staatsanleihen und Inflation

Selbe Situation und Investment, aber mit Berücksichtigung von Inflation: Wer im Jahr 1970 damals 1.000 USD in eine bis zum Jahr 2024 reichende Serie an US-Staatsanleihen investiert hätte, wie viel wären die 1.000 USD nach Berücksichtigung von Inflation Anfang 2024 wert?

A: 240 USD

B: 780 USD

C: 1.600 USD

D: 3.900 USD

Lösung
Richtige Antwort D: ungefähr 3.900 USD – nicht mehr ganz so viel. Quelle: ODAD (2024).

Jedoch war das Ausfallrisiko von US-Staatsanleihen historisch betrachtet relativ gering.

Frage 3: Aktienindex und langfristige Rendite

Wer im Jahr 1970 damals 1.000 USD in einen US-Aktienmarkt-Index mit den 500 größten Unternehmen investiert hätte, wie viel wären im Jahr 2024 ungefähr im Depot? Annahme: Alle Dividenden wurden reinvestiert.

A: 89.000 USD

B: 192.000 USD

C: 375.000 USD

D: 1.100.000 USD

Lösung
Richtige Antwort B: rund 192.000 USD – wobei hier keine Inflation berücksichtigt wurde.

Mit Berücksichtigung von Inflation würden aber immer noch fast 25.000 USD an Kaufkraft übrig bleiben. Quelle: ODAD (2024).

Frage 4: Langfristiges Depotvermögen und jährliche Rendite

Welche jährlichen Rendite würde diese Wertsteigerung der Einmalanlage von 1.000 USD auf rund 192.000 USD im Zeitraum von über 50 Jahren (ungefähr) entsprechen?

A: 4 %

B: 7 %

C: 10 %

D: 12 %

Lösung
Richtige Antwort C: rund 10 % pro Jahr.

Inflationsbereinigt wären es übrigens etwas mehr als 6,2 % jährliche Rendite. Quelle: ODAD (2024).

Dieser Vermögensanstieg ist für die meisten von uns wohl nur schwer vorstellbar.

Frage 5: Risiken an der Börse

Klingt schön und gut, aber wie die meisten wahrscheinlich wissen, birgt der Aktienmarkt auch Risiken. Was versteht man unter dem Risikobegriff „Volatilität“?

A: Jährliche größte Differenz zwischen Höchst- und Tiefkurs

B: Standardabweichung der Renditen

C: Maximalen Verlust in der Vergangenheit

D: Durchschnittliche Schwankung des Aktienkurses pro Monat

Lösung
Richtige Antwort B: Standardabweichung der Renditen. Die Standardabweichung zeigt uns, inwieweit die Renditen im Mittel von ihrem Durchschnittswert abweichen. Eine Aktie mit breiter Streuung, also mit teilweise sehr hohen und teilweise sehr niedrigen Renditen, wird riskanter bewertet, als Aktien mit relativ konstanten Renditen.

Frage 6: Gefühl für Volatilität

Jetzt noch zur Einordnung von Volatilität: Wie hoch war die Volatilität jährlicher Renditen des US-Aktienmarkts von 1970 bis 2024? 

A: 5 % pro Jahr

B: 10 % pro Jahr

C: 20 % pro Jahr

D: 40 % pro Jahr

Lösung
Richtige Antwort C: 20 % pro Jahr.

Bedeutet, die Abweichungen sind größer als die durchschnittliche Rendite selbst. Wenn wir zu häufig die Kursbewegungen bei langfristigen Aktienindex-Investments beobachten, kann das schon manchmal für Unsicherheit sorgen. Wer dagegen langfristig dabei geblieben ist, wurde belohnt.

Frage 7: Gefühl für maximale Verluste

Ein weiterer Risikobegriff beschreibt den maximalen Verlust eines Investments vom Höchststand bis zum tiefsten Punkt innerhalb einer Periode. Dieser sogenannte „Maximum Drawdown“ zeigt uns, was wir seit dem Zeitpunkt des Hochstandes an Rendite verloren hätten.

Wie hoch war der Maximum Drawdown des US-Aktienmarktes S&P500 von 1970 bis 2024?

A: -32 %

B: -56 %

C: -69 %

D: -84 %

Lösung
Richtige Antwort B: -56 %.

Dieser Maximum Drawdown des S&P 500 ereignete sich während der globalen Finanzkrise zwischen September 2007 und März 2009.

Der MSCI World hat im Zeitraum von 1970 bis 2024 ebenfalls etwas mehr als -50 % verloren.

Frage 8: Risiko und Rendite Fortgeschritten

Kombinieren wir Rendite und Risiko. Welcher Begriff beschreibt das Verhältnis der Überrendite (Rendite über dem risikofreien Zins) eines Investments und dem eingegangenen Risiko in Form der Volatilität? ((Rendite des Portfolios)-(Risikofreier Zinssatz)) / Volatilität

A: Risiko-Rendite-Verhältnis

B: Verlustquote

C: Sharpe Ratio

D: P/E Ratio

Lösung
Richtige Antwort C: Sharpe Ratio.

Angenommen unser Investment erreicht eine Rendite von 7 %, der risikofreie Zins ist 2 % und die Volatilität liegt bei 25 %. Die Sharpe-Ratio dieses Investments entspricht dann 0,2 [(7%-2%) / 25%].

Sharpe Ratios können folgendermaßen interpretiert werden:

  • Sharpe Ratio > 1: Sehr gut. Die Anlage erwirtschaftet mehr Rendite als Risiko
  • Sharpe Ratio = 1: Ausgewogen. Chancen und Risiken stehen im Gleichgewicht
  • Sharpe Ratio < 1: Unterdurchschnittlich. Das Risiko überwiegt die Rendite
  • Sharpe Ratio < 0: Schlecht. Die Rendite liegt unter dem risikofreien Zinssatz

Durch Diversifikation lässt sich die Sharpe-Ratio eines Portfolios erhöhen und wir erhalten mehr Rendite pro Einheit an Risiko. Quelle: Fidelity (2024).

Frage 9: Kognitive Verzerrungen, oder Denkfehler für Fortgeschrittene: Hätte, hätte, …

Wir lesen folgenden Kommentar: „Ich wusste es doch schon immer, ich hätte damals in Apple und Amazon investieren sollen.“

Welche kognitive Verzerrung beschreibt diese Aussage wahrscheinlich?

A: Rückschaufehler

B: Bestätigungsfehler

C: Kontrollillusion

D: Verfügbarkeitsheuristik

Lösung
Richtige Antwort A: Rückschaufehler.

Oder auch „hinterher ist sind wir immer schlauer“. Vielleicht sind der Person damals wirklich diese Aktien aufgefallen. Aber wieviele andere Investmentideen sind über die Jahre erwähnt worden, die nicht so erfolgreich waren? Aber an die erinnern wir uns eben nicht so häufig: unser Gedächtnis ist selektiv.

Frage 10: Kognitive Verzerrungen: Logische Schlussfolgerungen

Du hörst in Deinem Umfeld wird diskutiert, dass man doch in ein internationales Traditionsunternehmen aus der Umgebung investieren könnte, da bisher alle von der Produktqualität überzeugt sind.

Was könnte man an dieser Argumentation kritisieren?

A: Home-Bias

B: Mentale Buchführung

C: Eine schwierige Entscheidung, wird durch eine einfache irrelevante ersetzt.

D: Verfügbarkeitsheuristik

Lösung
Richtige Antwort C.

Die nicht ganz einfache Entscheidung, ob in ein Unternehmen investiert werden soll hängt von vielen Faktoren ab und sollte nicht durch einen einzigen einfachen Faktor getroffen werden.

Die Frage, die beantwortet werden möchte: „Soll ich in dieses Unternehmen investieren?“

Das Umfeld beantwortet stattdessen die Frage: „Stellt dieses Unternehmen gute Produkte her?“

Antworten auf diese Fragen können theoretisch komplett unabhängig voneinander sein, da es beim Investieren nicht auf Produktqualität, sondern das Rendite-Risikoprofil einer Anlage ankommt. Es kann gute Investments in Unternehmen mit schlechten Produkten genauso geben, wie schlechte Investments in Unternehmen mit guten Produkten.

Wenn das Umfeld davon überzeugt ist, die gute Produktqualität erhöhe die erwartete Rendite, müsste jedoch auch begründet werden, warum das ein Informationsvorteil gegenüber dem Markt ist. Denn der Preis, den Investoren an der Börse bereit sind zu zahlen, spiegelt die bekannte Information über die gute Qualität bereits wider.

Frage 11: die Richtige Wahl

Deine Eltern haben ein teures Finanzprodukt gekauft, das seitdem schlechter performt hat als ein breit gestreuter globaler ETF. Die Eltern weigern sich jedoch, das Produkt zu verkaufen, da sie ja schon „so viel an Gebühren investiert haben“.

Welchen Denkfehler beschreibt die Begründung der Eltern?

A: Versunkene Kosten

B: Rückschaufehler

C: Ankerheuristik

D: Bestätigungsfehler

Lösung
Richtige Antwort A: Denn die bereits gezahlten Gebühren sind versunkene Kosten.

Wenn wir für etwas Geld, Zeit oder Arbeit aufgewendet haben, sind wir häufig mental in etwas investiert. Es kann uns dann häufig schwer fallen sich davon zu lösen.

Das geht dann auf Kosten guter Entscheidungen. Da es bei (wichtigen) Entscheidungen immer darum gehen sollte, die Option auszuwählen, die den zukünftigen Nutzen maximiert. Und nicht die Option, in die wir in der Vergangenheit das meiste investiert hatten.

Frage 12: Große Anschaffungen finanzieren

Deine Eltern haben sich ein neues Auto für 60.000 EUR gekauft und finanzieren dies mit einem Zinssatz von 5 %. Gleichzeitig haben die Eltern noch 60.000 EUR auf einem Sparkonto liegen, das mit jährlich 2 % verzinst wird.

Welches Phänomen führt zu derartigen Entscheidungen?

A: Prospect Theory

B: Ankereffekt

C: Irrationale Nutzenmaximierung

D: Mentale Buchführung

Lösung
Richtige Antwort D: Mentale Buchführung.

Die Finanzierung des Autos und die Rücklagen auf dem Sparkonto laufen auf zwei separaten mentalen Konten, die jeweils separat optimiert werden.

Aus rein rationalen und Gründen, wäre es optimaler die 60.000 EUR aus dem Sparkonto für den Autokauf zu verwenden. Da die Zinsen, die wir für die Autofinanzierung der Bank schulden höher sind, als die Zinsen, die wir von der Bank aus unserem Sparguthaben erhalten.

Wie viele der 12 Fragen konntest Du richtig beantworten?

Weniger als 5 richtige Antworten:

Da ist noch Luft nach oben!

Aber keine Sorge – aus Fehlern können wir lernen. Ein solides fortgeschrittenes Finanzwissen hilft uns, bessere Entscheidungen zu treffen – sowohl an den Finanzmärkten als auch im Alltag. Also nicht entmutigen lassen, sondern dranbleiben!

5 bis 7 richtige Antworten:

Solide Leistung!

Du scheinst kein Neuling an der Börse zu sein und verstehst die Grundlagen von Investments. Hoffentlich konntest Du trotzdem ein paar neue Erkenntnisse gewinnen.

Es sieht so aus, als hättest Du Dich bereits mit dem Thema Finanzen und Geldanlage, beschäftigt. Wenn nicht, dann hast Du jetzt einen guten Anlass, tiefer einzusteigen.

Mehr als 8 richtige Antworten:

Sehr gut!

Du kennst Dich bestens an den Finanzmärkten aus und hast ein feines Gespür für Rendite und Risiko und auch kognitive Verzerrungen. Das sind hervorragende Voraussetzungen für erfolgreiche Anlageentscheidungen – weiter so!

Die Fragen sind (noch) zu schwer?

Sollten diese Fragen Dein derzeitiges Finanzwissen übersteigen, ist das kein Problem! Mache den einfachen Finanztest der OECD (Hier findest Du den Test zum Durchklicken oder hier das dazugehörige Video zum anschauen).


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Vielen Dank!

Anmerkungen & Quellen


Daten und Informationen, Stand: 08.09.2024

Titelbild: Priscilla Du Preez 🇨🇦 auf Unsplash

Fragenauswahl von Behavioral Finance e.V. (2024): Quizzes. https://www.behavioral-finance.de/forschung/quizzes/

Fidelity (2024): Risiken effektiv abschätzen mit Risikomaßen. Abgerufen am 13.09.2024. https://www.fidelity.de/wissen/tipps-and-strategien/risiko-kennziffern/sharpe-ratio/

OECD (2023), “OECD/INFE 2023 International Survey of Adult Financial Literacy”, OECD Business and Finance Policy Papers, No. 39, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/56003a32-en.

ODAD (2024): OfDollarsAndData.com, Nick Maggiulli. US Stock/Bond Historical Return Calculator.

OECD (2024), “Finanzbildung in Deutschland: Finanzielle Resilienz und finanzielles Wohlergehen verbessern”, No. 43, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/c20b27ac-de.

Kruger, J., & Dunning, D. (1999). Unskilled and unaware of it: How difficulties in recognizing one’s own incompetence lead to inflated self-assessments. Journal of Personality and Social Psychology, 77(6), 1121–1134. https://doi.org/10.1037/0022-3514.77.6.1121

Wer sich in der „ETF-Blase“ bewegt, kann schnell den Eindruck erhalten, als würden alle in ETFs investieren und die Vorteile dieser Anlageform kennen. Klar, ETFs (Exchange Traded Funds) werden häufig als einfache, kostengünstige und effiziente Möglichkeit dargestellt, um am Aktienmarkt teilzuhaben und damit langfristig Vermögen aufzubauen.

Die Realität sieht jedoch etwas anders aus. Laut einer Studie des Deutschen Aktieninstituts (DAI) investieren nur etwa 17–18 % der Deutschen überhaupt in Aktien, und nur knapp 11 % nutzen passive Aktienfondsprodukte wie ETFs.

Die Frage liegt also nahe: Was machen die restlichen 80–90 %?

Gibt es etwa Gründe, die gegen ETFs sprechen? Oder Situationen, in denen es (noch) nicht sinnvoll ist, in ETFs zu investieren?

Rationale Gründe, die gegen ETFs sprechen

Wer sich mit langfristigen Geldanlagen beschäftigt, stößt früher oder später auch auf börsengehandelte Indexfonds, besser bekannt als ETFs. Doch obwohl ETFs oft als ideale Lösung für den Vermögensaufbau präsentiert werden, gibt es auch rationale Gründe, die dagegen sprechen – und diese sollten nicht außer Acht gelassen werden. Zum einen, zwei häufig genannte und tendenziell eher rationale Aspekte, die wir berücksichtigen sollten:

1. Anlagehorizont ist zu kurz

Wer in naher Zukunft größere Anschaffungen plant, dann könnte ein ETF-Investment nicht die beste Wahl sein.

Muss beispielsweise für eine Immobilie angespart oder eine bereits vorhandene Immobilie renoviert werden? Vielleicht steht der Kauf eines neuen Autos an, da das alte bald ausgedient hat.

In solchen Fällen gilt es zu priorisieren: Wenn das Einkommen nicht ausreicht, um sowohl zu investieren als auch für diese Anschaffungen zu sparen, sollte besser die Finger von ETFs lassen.

Denn eine gängige Faustregel besagt, dass man mindestens 15 Jahre auf das investierte Geld verzichten können sollte, um langfristig erfolgreich in Aktien-ETFs zu investieren. Also die Verlustwahrscheinlichkeit minimiert. Nur bei einem langfristigen Anlagehorizont sind die Schwankungen des Marktes besser zu verkraften.

2. Das finanzielle Fundament fehlt

Bevor man in ETFs investiert, sollte das finanzielle Fundament solide sein. Das bedeutet:

  • Schuldenabbau: Wer noch teure Schulden hat, sollte diese zuerst tilgen, bevor er in ETFs investiert. Die Renditen von ETFs sind nicht so verlässlich wie die Zinsen, die auf Schulden gezahlt werden müssen. Es ergibt also finanziell wenig Sinn, Schulden zu tragen und gleichzeitig in ETFs zu investieren.
  • Rücklagen aufbauen: Ein Notfallpolster ist unverzichtbar, um unerwartete Ausgaben sofort decken zu können, ohne neue Schulden aufnehmen zu müssen. Erst wenn dieser Sicherheitsbaustein steht, sollte man risikoreichere Anlageklassen wie Aktien-ETFs in Betracht ziehen.
  • Ausreichende Sparrate: Schließlich sollten sichergestellt werden, dass eine regelmäßige Sparrate vorhanden, die es ermöglicht, regelmäßig in ETFs zu investieren. Ohne Sparrate oder mit zusätzlichen Schulden ein ETF-Investment zu beginnen, kann unnötige finanzielle Risiken mit sich bringen.

Emotionale Faktoren, die häufig unterschätzt werden

Auch wenn rationale Argumente gegen ETFs, nicht zutreffen sollten, können ETFs dennoch ungeeignet sein – und das aus emotionalen Gründen. Diese Aspekte werden oft unterschätzt oder vergessen, spielen aber eine entscheidende Rolle bei der Geldanlage.

1. Schwankende Kurse machen Dich nervös

ETFs, selbst wenn diese einen breit gestreuten globalen Index abbilden, können starken Schwankungen unterliegen. Tägliche Kursbewegungen von mehreren Prozentpunkten und monatliche oder jährliche Verluste von 10 % bis 20 % sind keine Seltenheit. Es kann sogar Jahre geben, in denen sich die Gesamtrendite kaum bewegt, und das Auf und Ab der Kurse gehört zur Normalität.

Eine Herausforderung, der wir unterliegen, ist die ständige Verfügbarkeit der Wertpapierkurse in Online-Banking-Apps. Wir sehen die Entwicklung unseres Portfolios in Echtzeit – Buchgewinne und -Verluste sind schnell zu erkennen, was unsere emotionale Belastung verstärken kann. Wenn wir beispielsweise 10.000 EUR in ETFs investiert haben, können temporäre Verluste von 100 bis 500 EUR (1 % – 5 %) normal sein.

Nicht jeder kann diese Schwankungen aushalten, und das muss auch nicht sein. Für manche sind dann vielleicht weniger liquide – oder nicht täglich bepreiste Anlageklassen besser geeignet.

Ein Beispiel für eine solche Anlageklasse sind Immobilien. Es gibt keine täglichen Kursbewegungen, und selbst bei einem theoretischen Wertverlust von 10 % (beispielsweise ermittelt über Immobilienportale durch Vergleich im Umkreis mit ähnlichen Immobilien) würden die wenigsten ihre Immobilie sofort verkaufen, da der Verkaufsprozess langwieriger und teurer ist als bei liquiden Finanzprodukten wie ETFs.

Tipp: Wenn Du dennoch mit ETFs investieren möchtest, aber noch nicht emotional darauf vorbereitet bist, kann es helfen, mit kleineren Beträgen anzufangen. Viele erfahrene Anleger berichten, dass sie mit der Zeit weniger in ihr Depot schauen – was wahrscheinlich auch besser ist, da ETFs langfristig gesehen werden sollten.

2. Das „langweilige“ Investment oder „durchschnittliche“ Rendite ist Dir zu wenig

ETFs sind auf langfristigen Vermögensaufbau ausgelegt. Wer in breit gestreute Aktien-ETFs investiert, sollte je nach Zeitraum, Index und unter Berücksichtigung von Inflation und Steuern höchstens mit einer Rendite von etwa 6 % pro Jahr „rechnen“.

Und hier beginnt häufig der mentale Konflikt.

Wir hören von Freunden oder lesen in Medien über beeindruckende Renditen aus anderen Anlageformen, die beispielsweise mehr als 20 % Rendite erzielten. Sei es durch Kryptowährungen, Einzelaktien oder riskante Finanzprodukte. Solche Erfolgsgeschichten können ein nicht positives Gefühl verstärken, mit ETFs „nur Durchschnitt“ zu erreichen. Obwohl häufig völlig unbekannt bleibt, wie diese Rendite zustande gekommen ist und welche Faktoren mit – oder auch nicht – berücksichtigt wurden. Also in welchem Zeitraum wurde diese Rendite erreicht und wurden (Transaktions-)Kosten oder Inflation (wenn über mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte) mit einkalkuliert?

Wenn wir diesen Reizen nicht widerstehen können und das Bedürfnis haben, ständig nach höheren Renditen zu streben, sind ETFs möglicherweise nicht das richtige Instrument.

Meine Gegenargumente zu diesem Zwang nach mehr“:

  1. Survivorship Bias: Erfolgsberichte sind oft Einzelfälle, während die vielen Misserfolge selten erwähnt werden. Die Wahrscheinlichkeit, selbst diese außergewöhnlichen Erfolge zu erzielen, wird daher systematisch überschätzt.
  2. Daten: Die Datenlage, dass langfristig und verlässlich eine höhere Rendite als „der Durchschnitt“ erreicht wird, ist sehr dünn. Selbst nur wenige Fondsmanager schaffen es ihre Benchmarks zu schlagen, obwohl sich diese täglich damit auseinandersetzen und dafür häufig sehr gut bezahlt werden.
  3. Langfristiger Durchschnitt: Es ist völlig in Ordnung, wenn eine Geldanlage „langweilig“ und durchschnittlich ist. Langfristiger Vermögensaufbau mit ETFs erlaubt es, nebenbei das Leben zu genießen, Hobbys nachzugehen oder berufliche Ziele zu verfolgen. Ein Sparplan mit ETFs ermöglicht eine langfristige finanzielle Vorsorge. Und nach 15, 25 oder 35 Jahren können wir dann hoffentlich zufrieden auf ein stetig gewachsenes Vermögen schauen und glücklich zurückblicken – ganz ohne unnötigen Stress oder übermäßige Risiken.

Fazit: Sind ETFs, die richtige Wahl für Dich?

Was bleibt zum Schluss?

Meiner Meinung und Erfahrung nach – und auch die von anerkannten und unabhängigen Experten – sind ETFs eine hervorragende Form der Geldanlage für Privatanleger. Vorausgesetzt, wir erfüllen bestimmte Voraussetzungen und bringen einen langen Atem sowie eine gewisse emotionale Belastbarkeit mit.

Trotz der vielen Vorteile gibt es auch einige berechtigte Argumente, die gegen ETFs sprechen:

  1. Argumente gegen ETFs, die gleichzeitig gegen die Anlageklasse Aktien sprechen:
    • Anlagehorizont zu kurz: Wenn das Geld in absehbarer Zeit benötigt wird, sind Aktien und ETFs meist keine gute Wahl.
    • Schwankende Kurse machen Dich nervös: Starke Kursbewegungen gehören zur Natur von Aktien, und wer damit nicht umgehen kann, sollte lieber andere Anlageformen wählen.
    • Hohe Liquidität passt nicht zur Risikofähigkeit: Die Möglichkeit, jederzeit auf das investierte Geld zugreifen zu können, verleitet manche dazu, in schlechten Phasen zu verkaufen – oft leider erst rückblickend zum falschen Zeitpunkt.
  2. Argumente, die für Aktien, aber gegen ETFs sprechen:
    • Du möchtest den Markt schlagen: Wenn Du glaubst, dass Du mit Einzelaktien oder aktiv gemanagten Fonds den Markt outperformen kannst, könnten ETFs zu „durchschnittlich“ für Dich sein. Allerdings solltest Du die meist höheren Gebühren von aktiven Fonds nicht unterschätzen, die langfristig Deine Rendite schmälern können.

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Vielen Dank!

Anmerkungen & Quellen


Daten und Informationen, Stand: 02.09.2024

Titelbild: John Matychuk auf Unsplash

Wann sollte ich am besten mit dem Investieren beginnen? Schon mit 20 und alle verfügbaren Beträge direkt investieren, um die Vorteile des Zinseszinseffektes mitzunehmen? Oder erst mit 30 und dafür etwas mehr, aber dafür mit weniger Erfahrung an den Kapitalmärkten? Oder noch später, beispielsweise mit 40 und dann noch mehr?

In diesem Video haben wir versucht, diesen Fragen nachzugehen.

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