Wer sich in der „ETF-Blase“ bewegt, kann schnell den Eindruck erhalten, als würden alle in ETFs investieren und die Vorteile dieser Anlageform kennen. Klar, ETFs (Exchange Traded Funds) werden häufig als einfache, kostengünstige und effiziente Möglichkeit dargestellt, um am Aktienmarkt teilzuhaben und damit langfristig Vermögen aufzubauen.
Die Realität sieht jedoch etwas anders aus. Laut einer Studie des Deutschen Aktieninstituts (DAI) investieren nur etwa 17–18 % der Deutschen überhaupt in Aktien, und nur knapp 11 % nutzen passive Aktienfondsprodukte wie ETFs.
Die Frage liegt also nahe: Was machen die restlichen 80–90 %?
Gibt es etwa Gründe, die gegen ETFs sprechen? Oder Situationen, in denen es (noch) nicht sinnvoll ist, in ETFs zu investieren?
Rationale Gründe, die gegen ETFs sprechen
Wer sich mit langfristigen Geldanlagen beschäftigt, stößt früher oder später auch auf börsengehandelte Indexfonds, besser bekannt als ETFs. Doch obwohl ETFs oft als ideale Lösung für den Vermögensaufbau präsentiert werden, gibt es auch rationale Gründe, die dagegen sprechen – und diese sollten nicht außer Acht gelassen werden. Zum einen, zwei häufig genannte und tendenziell eher rationale Aspekte, die wir berücksichtigen sollten:
1. Anlagehorizont ist zu kurz
Wer in naher Zukunft größere Anschaffungen plant, dann könnte ein ETF-Investment nicht die beste Wahl sein.
Muss beispielsweise für eine Immobilie angespart oder eine bereits vorhandene Immobilie renoviert werden? Vielleicht steht der Kauf eines neuen Autos an, da das alte bald ausgedient hat.
In solchen Fällen gilt es zu priorisieren: Wenn das Einkommen nicht ausreicht, um sowohl zu investieren als auch für diese Anschaffungen zu sparen, sollte besser die Finger von ETFs lassen.
Denn eine gängige Faustregel besagt, dass man mindestens 15 Jahre auf das investierte Geld verzichten können sollte, um langfristig erfolgreich in Aktien-ETFs zu investieren. Also die Verlustwahrscheinlichkeit minimiert. Nur bei einem langfristigen Anlagehorizont sind die Schwankungen des Marktes besser zu verkraften.
2. Das finanzielle Fundament fehlt
Bevor man in ETFs investiert, sollte das finanzielle Fundament solide sein. Das bedeutet:
- Schuldenabbau: Wer noch teure Schulden hat, sollte diese zuerst tilgen, bevor er in ETFs investiert. Die Renditen von ETFs sind nicht so verlässlich wie die Zinsen, die auf Schulden gezahlt werden müssen. Es ergibt also finanziell wenig Sinn, Schulden zu tragen und gleichzeitig in ETFs zu investieren.
- Rücklagen aufbauen: Ein Notfallpolster ist unverzichtbar, um unerwartete Ausgaben sofort decken zu können, ohne neue Schulden aufnehmen zu müssen. Erst wenn dieser Sicherheitsbaustein steht, sollte man risikoreichere Anlageklassen wie Aktien-ETFs in Betracht ziehen.
- Ausreichende Sparrate: Schließlich sollten sichergestellt werden, dass eine regelmäßige Sparrate vorhanden, die es ermöglicht, regelmäßig in ETFs zu investieren. Ohne Sparrate oder mit zusätzlichen Schulden ein ETF-Investment zu beginnen, kann unnötige finanzielle Risiken mit sich bringen.
Emotionale Faktoren, die häufig unterschätzt werden
Auch wenn rationale Argumente gegen ETFs, nicht zutreffen sollten, können ETFs dennoch ungeeignet sein – und das aus emotionalen Gründen. Diese Aspekte werden oft unterschätzt oder vergessen, spielen aber eine entscheidende Rolle bei der Geldanlage.
1. Schwankende Kurse machen Dich nervös
ETFs, selbst wenn diese einen breit gestreuten globalen Index abbilden, können starken Schwankungen unterliegen. Tägliche Kursbewegungen von mehreren Prozentpunkten und monatliche oder jährliche Verluste von 10 % bis 20 % sind keine Seltenheit. Es kann sogar Jahre geben, in denen sich die Gesamtrendite kaum bewegt, und das Auf und Ab der Kurse gehört zur Normalität.
Eine Herausforderung, der wir unterliegen, ist die ständige Verfügbarkeit der Wertpapierkurse in Online-Banking-Apps. Wir sehen die Entwicklung unseres Portfolios in Echtzeit – Buchgewinne und -Verluste sind schnell zu erkennen, was unsere emotionale Belastung verstärken kann. Wenn wir beispielsweise 10.000 EUR in ETFs investiert haben, können temporäre Verluste von 100 bis 500 EUR (1 % – 5 %) normal sein.
Nicht jeder kann diese Schwankungen aushalten, und das muss auch nicht sein. Für manche sind dann vielleicht weniger liquide – oder nicht täglich bepreiste Anlageklassen besser geeignet.
Ein Beispiel für eine solche Anlageklasse sind Immobilien. Es gibt keine täglichen Kursbewegungen, und selbst bei einem theoretischen Wertverlust von 10 % (beispielsweise ermittelt über Immobilienportale durch Vergleich im Umkreis mit ähnlichen Immobilien) würden die wenigsten ihre Immobilie sofort verkaufen, da der Verkaufsprozess langwieriger und teurer ist als bei liquiden Finanzprodukten wie ETFs.
Tipp: Wenn Du dennoch mit ETFs investieren möchtest, aber noch nicht emotional darauf vorbereitet bist, kann es helfen, mit kleineren Beträgen anzufangen. Viele erfahrene Anleger berichten, dass sie mit der Zeit weniger in ihr Depot schauen – was wahrscheinlich auch besser ist, da ETFs langfristig gesehen werden sollten.
2. Das „langweilige“ Investment oder „durchschnittliche“ Rendite ist Dir zu wenig
ETFs sind auf langfristigen Vermögensaufbau ausgelegt. Wer in breit gestreute Aktien-ETFs investiert, sollte je nach Zeitraum, Index und unter Berücksichtigung von Inflation und Steuern höchstens mit einer Rendite von etwa 6 % pro Jahr „rechnen“.
Und hier beginnt häufig der mentale Konflikt.
Wir hören von Freunden oder lesen in Medien über beeindruckende Renditen aus anderen Anlageformen, die beispielsweise mehr als 20 % Rendite erzielten. Sei es durch Kryptowährungen, Einzelaktien oder riskante Finanzprodukte. Solche Erfolgsgeschichten können ein nicht positives Gefühl verstärken, mit ETFs „nur Durchschnitt“ zu erreichen. Obwohl häufig völlig unbekannt bleibt, wie diese Rendite zustande gekommen ist und welche Faktoren mit – oder auch nicht – berücksichtigt wurden. Also in welchem Zeitraum wurde diese Rendite erreicht und wurden (Transaktions-)Kosten oder Inflation (wenn über mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte) mit einkalkuliert?
Wenn wir diesen Reizen nicht widerstehen können und das Bedürfnis haben, ständig nach höheren Renditen zu streben, sind ETFs möglicherweise nicht das richtige Instrument.
Meine Gegenargumente zu diesem „Zwang nach mehr“:
- Survivorship Bias: Erfolgsberichte sind oft Einzelfälle, während die vielen Misserfolge selten erwähnt werden. Die Wahrscheinlichkeit, selbst diese außergewöhnlichen Erfolge zu erzielen, wird daher systematisch überschätzt.
- Daten: Die Datenlage, dass langfristig und verlässlich eine höhere Rendite als „der Durchschnitt“ erreicht wird, ist sehr dünn. Selbst nur wenige Fondsmanager schaffen es ihre Benchmarks zu schlagen, obwohl sich diese täglich damit auseinandersetzen und dafür häufig sehr gut bezahlt werden.
- Langfristiger Durchschnitt: Es ist völlig in Ordnung, wenn eine Geldanlage „langweilig“ und durchschnittlich ist. Langfristiger Vermögensaufbau mit ETFs erlaubt es, nebenbei das Leben zu genießen, Hobbys nachzugehen oder berufliche Ziele zu verfolgen. Ein Sparplan mit ETFs ermöglicht eine langfristige finanzielle Vorsorge. Und nach 15, 25 oder 35 Jahren können wir dann hoffentlich zufrieden auf ein stetig gewachsenes Vermögen schauen und glücklich zurückblicken – ganz ohne unnötigen Stress oder übermäßige Risiken.
Fazit: Sind ETFs, die richtige Wahl für Dich?
Was bleibt zum Schluss?
Meiner Meinung und Erfahrung nach – und auch die von anerkannten und unabhängigen Experten – sind ETFs eine hervorragende Form der Geldanlage für Privatanleger. Vorausgesetzt, wir erfüllen bestimmte Voraussetzungen und bringen einen langen Atem sowie eine gewisse emotionale Belastbarkeit mit.
Trotz der vielen Vorteile gibt es auch einige berechtigte Argumente, die gegen ETFs sprechen:
- Argumente gegen ETFs, die gleichzeitig gegen die Anlageklasse Aktien sprechen:
- Anlagehorizont zu kurz: Wenn das Geld in absehbarer Zeit benötigt wird, sind Aktien und ETFs meist keine gute Wahl.
- Schwankende Kurse machen Dich nervös: Starke Kursbewegungen gehören zur Natur von Aktien, und wer damit nicht umgehen kann, sollte lieber andere Anlageformen wählen.
- Hohe Liquidität passt nicht zur Risikofähigkeit: Die Möglichkeit, jederzeit auf das investierte Geld zugreifen zu können, verleitet manche dazu, in schlechten Phasen zu verkaufen – oft leider erst rückblickend zum falschen Zeitpunkt.
- Argumente, die für Aktien, aber gegen ETFs sprechen:
- Du möchtest den Markt schlagen: Wenn Du glaubst, dass Du mit Einzelaktien oder aktiv gemanagten Fonds den Markt outperformen kannst, könnten ETFs zu „durchschnittlich“ für Dich sein. Allerdings solltest Du die meist höheren Gebühren von aktiven Fonds nicht unterschätzen, die langfristig Deine Rendite schmälern können.
Anmerkungen & Quellen
Daten und Informationen, Stand: 02.09.2024
Titelbild: John Matychuk auf Unsplash