Viele nachhaltige ETFs großer Fondsanbieter werden ab Januar 2023 voraussichtlich herabgestuft. Von der vormals „dunkelgrünen“ Artikel 9 Variante auf „hellgrün“ Artikel 8. Haben Anbieter etwa festgestellt, dass Ihre angebotenen ETFs doch nicht so grün sind wie sie scheinen oder ist das der konservative Ansatz, um ab Januar mit einer neuen EU-Vorschrift im Einklang zu sein?

SFDR – Was ist überhaupt die EU Nachhaltigkeits-Kennzeichnung?

Seit März 2021 sind Fondsanbieter verpflichtet, in der EU angebotene Fonds, in eine von drei Kategorien einzuordnen und die Information über die Einordnung uns Anlegern offenzulegen.

Diese Verpflichtung basiert auf der „EU-Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten“ (Regulation (EU) 2019/2088) – auch häufig mit SFDR abgekürzt oder kurz „Offenlegungsverordnung“ genannt (siehe auch hier unseren dedizierten Artikel dazu).

Diese Verordnung unterscheidet zwischen drei einfachen Kennzeichnungen, die als „Artikel“ bezeichnet werden und beschreiben jeweils, wie nachhaltig ein Fonds ist, benannt nach dem jeweiligen SFDR-Artikel. „Artikel 9“ ist die strengste Kategorie und bezeichnet Finanzprodukte, die ein Nachhaltigkeitsziel erfüllen. „Artikel 8“ ist die „hellgrüne“ Variante, die durch Bewerbung von einzelnen Nachhaltigkeitsmerkmalen gekennzeichnet ist. Schließlich gibt es noch „Artikel 6“ – jene Produkte, die nicht in eine der zwei oben genannten Artikel fallen und demnach entweder keine oder nur sehr geringe Nachhaltigkeitseigenschaften aufweist.

Übrigens treffen diese Anforderungen nur auf eine kleine Auswahl von Finanzprodukten zu, insbesondere auf Fonds oder andere Bündel aus mehreren einzelnen Finanzprodukten – siehe mehr Details dazu in Artikel 2 Nr. 12 der SFDR.

Zur Erfüllung der Anforderungen sollen uns die Anbieter dieser Produkte offenlegen, welcher Klassifizierung ein Fonds unterliegt und ihn damit nach ihrer Nachhaltigkeit selbst kennzeichnen. Das kann dann beispielsweise über die Website oder auch das Fondsprospekt erfolgen. Bisher gibt es leider nur vereinzelt Anbieter, welche die SFDR-Klassifizierung auch in Werbematerialien wie beispielsweise dem Factsheet veröffenltichen.

Relevanz nachhaltiger Fonds – SFDR in der Praxis

Was ist seit Inkrafttreten der SFDR passiert?

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Die Fonds-Anbieter haben sich fast ein Rennen, um die meisten nachhaltigen Fonds geliefert.

Laut Morningstar waren in den ersten zwei Quartalen 2021 noch etwas mehr als 30 % des EU-Fondsvermögens „nachhaltig“ gemäß Offenlegungsverordnung – also Fonds mit Artikel 8 und 9 Klassifizierung. Mitte 2022 waren es dann insgesamt mehr als 50 % – davon fast 50 % Artikel 8 Fonds und etwas mehr als 5 % Artikel 9 Fonds.

Damit wurde die starke Nachfrage in nachhaltige Fonds bedient, indem versucht wurde, das Angebot an nachhaltigen Anlagen stetig zu erweitern. Dafür haben Anbieter auch beispielsweise systematisch angefangen bei ETFs die konventionellen Indizes durch nachhaltige „auszutauschen“ – also haben den Referenzindex gewechselt. Und damit wurde das Produkt auch „nachhaltig“ im Sinne der SFDR-Klassifizierung – ob es investierte Anleger wollten oder auch nicht. Dieses Phänomen war vor allem seit Ende 2021 und noch bis Mitte 2022 zu beobachten.[1]

Im Jahr 2022 ist die Nachfrage nach Artikel 9 Fonds weiter stetig gestiegen. Das Jahr war zwar hauptsächlich geprägt keine großen Kursanstiege, trotzdem wurde monatlich in Artikel 9-Produkte insgesamt mehr investiert als entnommen. Artikel 8 und 6 Fonds dagegen, hatten in vielen Monaten sogar Mittelabflüsse zu verzeichnen.

Laut Morningstar gab es im September 2022 einzig bei Artikel 9 Fonds in der EU in Summe noch positive Wachstumsraten. Seit Einführung der Offenlegungsverordnung waren die Wachstumsraten bei Artikel 9 Produkten durchschnittlich insgesamt am höchsten.[2]

Was ist passiert – reihenweise Herabstufungen von Artikel 9 auf 8

Obwohl die Nachfrage nach den dunkelgrünen Artikel 9 Fonds scheinbar ungebrochen hoch scheint, haben in den letzten Wochen und Monaten Fonds-Anbieter reihenweise systematisch ihre Fonds von Artikel 9 auf Artikel 8 herabgestuft – vor allem Aktien-ETFs waren davon betroffen.

Morningstar hatte schon im dritten Quartal 2022 festgestellt, dass mehr als 40 Fonds von Artikel 9 auf Artikel 8 herabgestuft wurden.[3]

Amundi hatte für einige bisher als Artikel 9 eingestuften Aktien-ETFs angekündigt, zum 31. Dezember 2022 die Klassifizierung auf Artikel 8 zu „aktualisieren“.[5]

DWS hatte in einer Mitteilung an die Aktionäre Anfang Dezember 2022 die Änderung von mehreren Anleihen und Aktien-ETFs angekündigt.[6]

BNP hatte ebenfalls angekündigt, 19 ihrer bisher noch unter Artikel 9 gekennzeichneten ETFs auf Artikel 8 herabzustufen.[8]

Bedeutet das etwa, dass diese Fonds kein nachhaltiges Ziel mehr verfolgen und die Anbieter gemeinsam erkannt haben, dass diese wohl doch eher in die Kategorie der Artikel 8 Beschreibung fallen. Sprich, dass diese „nur“ nachhaltigen Kriterien erfüllen, aber kein Nachhaltigkeitsziel mehr anstreben?

Warum wird jetzt umklassifiziert?

Und – warum haben sich die Anbieter ausgerechnet jetzt dazu entschieden, ihre Fonds herabzustufen? Zwei wesentliche Hauptfaktoren wurden bisher von den Anbietern genannt.

SFDR Level-2 Update

Zum einen gelten ab Januar 2023 neue Anforderungen[9], welche als sogenannte „technische Regulierungsstandards“ zur bestehenden Offenlegungsverordnung ergänzt werden. Diese auch im Fachjargon als „Level 2“ bezeichneten Vorschriften legen ergänzende konkrete Inhalte zur Umsetzung fest. Dazu zählen beispielsweise Berechnungsmethodiken und Art der Informationsdarstellung, die veröffentlicht werden sollen.

Die bisher gültige Verordnung besteht aus einfachen Beschreibungen zu Informationen, welche veröffentlicht werden sollen. Teilweise werden zusätzlich allgemeine Erklärungen und Hinweise gegeben, was beispielsweise als Artikel 9 Produkt zu verstehen ist. Jedoch noch keine konkreten Hinweise, welche Metriken oder Faktoren erfüllt sein müssen, damit beispielsweise ein Nachhaltigkeitsziel erreicht wurde und somit als Artikel 9 gilt.

Die delegierte Verordnung („Level 2“) hingegen beschreibt beispielsweise konkret, nach welcher Formel Treibhausgas-Emissionen oder auch der CO₂-Fußabdruck berechnet werden sollen. Zusätzlich gibt es auch Vorlagen, welche Anbieter zukünftig ausfüllen und uns offenlegen sollen.

Wenn es sich um ein Artikel 9 Produkt handelt, soll zukünftig die genaue Vermögensverteilung und Mindestanteil nachhaltiger Investments grafisch aufgeführt werden. Im Gegensatz dazu soll für Artikel 8 Fonds ausschließlich die geplante Vermögensverteilung aufgelistet werden – mehr Details dazu auch in der Level-2 delegierten Verordnung.

Interpretationsunklarheiten

Zum anderen gibt es in Verbindung mit den konkreten Vorgaben noch Unklarheiten hinsichtlich der Interpretation des Regelwerks für nachhaltige Investitionen. Denn eine gemeinsame Erklärung von EU-Kommission und europäischen Aufsichtsbehörden legt nahe, dass Artikel 9-Fonds nachhaltige Investments nur auf Grundlage der Definition der EU-Taxonomie vornehmen sollen.[11]

Und da sich bezüglich der Definitionen aus der Taxonomie noch einige Unklarheiten herrschen, hatte die ESMA (eine europäische Aufsichtsbehörde) im Herbst die EU-Kommission gebeten zu klären, was sie unter einer „nachhaltigen Anlage“ verstehen.

Ändert sich die Klassifizierung zukünftig regelmäßig?

Sind die Anbieter von ETFs also nicht in der Lage, die strengeren Anforderungen bis Januar umzusetzen und haben deshalb vorsichtshalber die „leichtere“ Kategorie gewählt? Ist es die Angst vor potenziellen Vorwürfen oder aufsichtsrechtlichen Konsequenzen und haben deshalb präventiv herabgestuft? Haben sie tatsächlich gemerkt, dass bisherige Artikel 9-Fonds die Anforderung schlichtweg nicht erfüllt sind und deshalb neu klassifiziert?

In der Vergangenheit wurden bis zur Einführung neuer Verordnungen – und auch häufig noch danach – regelmäßig weitere Klarstellungen in Form von sogenannten „Q&As“ veröffentlicht. In denen vor allem die Fragen der betroffenen Finanzdienstleister beantwortet werden und damit dann für diese zur Umsetzung auch konkretisiert vorliegen.

Wir werden sehen, ob sich im Laufe des nächsten Jahres weitere Neu-Klassifizierungen ergeben. Aufgrund dieser jüngsten Entwicklungen geht Morningstar davon aus, „dass in den kommenden Monaten weitere Artikel 9-Produkte in Artikel 8 unklassifiziert werden“.[12]

Fazit: Was bedeutet das für uns Anleger?

Unabhängig von den tatsächlichen Motiven einzelner Fonds-Emittenten. Für uns Anleger ist es aber dennoch teilweise herausfordernd, uns aus dem Dschungel der Nachhaltigkeitslabels und ESG-Ratings zurechtzufinden – und wenn sich jetzt zusätzlich noch die SFDR-Klassifizierungen einzelner Produkte in regelmäßigen Abständen ändern sollte – fördert das wahrscheinlich nicht die Glaubwürdigkeit.

Eine weitere Herausforderung und – fast schon unerwünschtes Ergebnis ist, dass jetzt viele ETFs unter Artikel 8 fallen. Denn damit erhalten wir innerhalb einer Kategorie ein riesiges Spektrum an Nachhaltigkeitsansätzen und Strenge von Ausschlüssen oder Nachhaltigkeitszielen.

Aber das Gute ist und auch wichtig zu erwähnen: Aktuell wurden keine Referenzindizes verändert, also das Produkt hat sich nicht verändert und ist mit einer Herabstufung zu keiner anderen Anlage geworden! Auch wenn die Herabstufung unter Umständen Zweifel aufwerfen könnte.

Wer also bisher beispielsweise mit den Ansprüchen aus einem MSCI SRI Index übereinstimmte, und einen entsprechenden ETF gekauft hat, besitzt auch nach einer Herabstufung auf Artikel 8 – immer noch einen ETF mit dem diesem Index.

Denn letztendlich kann vieles auf Finanzprodukten draufstehen, aber entscheidend ist, was drin ist. Deshalb kann es sich durchaus lohnen, auch buchstäblich in den ETF „hineinzuschauen“.

Also recherchiert beispielsweise die enthaltenen Titel und Unternehmen. Und wenn Ihr unter den 10 größten Positionen, mehrere Unternehmen findet, die mit Eurem persönlichen Nachhaltigkeitsanspruch nicht vereinbar sind, dann ist das Produkt wahrscheinlich nicht das richtige für Euch.

Zusätzlich kann es helfen, sich über die zugrundeliegenden Indizes zu informieren und wie diese funktionieren – und nicht ausschliesslich auf einzelne Labels vertrauen. Eine Möglichkeit sind beispielsweise die veröffentlichen Methoden der Indexanbieter auf deren Website.

Auf unserer Seite haben wir einen eigenen Abschnitt mit den Regeln nachhaltiger Indizes erstellt, dort haben wir versucht, die wesentlichen Informationen der gängigsten Nachhaltigkeitsanstätze zusammenzufassen.

Und auch wenn mittlerweile mehrere Anlaufstellen frei verfügbar sind, um sich über nachhaltige Finanzprodukte zu informieren. Wäre es schon schön, wenn es zukünftig zumindest einigermaßen vertrauenswürdige und einheitliche Standards – wie ein EU-Label gäbe, an dem man einfacher Produkte vergleichen könnte.


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Anmerkungen & Quellen


Daten und Informationen, Stand: 15.12.2022

Titelbild: Christian Lue (Unsplash)

[1] https://etf.dws.com/de-de/AssetDownload/Index/f1a6bafa-50a8-407a-8325-ebf97461cc82/29-04-2022-AEnderung-des-Referenzindex-Mitteilung-an-die-Anteilinhaber-des-Xtrackers-MSCI-Pacific-ex-Japan-UCITS-ETF.pdf/

[2] https://www.morningstar.ch/ch/news/227966/artikel-8-fonds-verzeichnen-im-dritten-quartal-erneut-abfl%C3%BCsse.aspx

[3] https://www.morningstar.ch/ch/news/227966/artikel-8-fonds-verzeichnen-im-dritten-quartal-erneut-abfl%C3%BCsse.aspx

https://www.amundietf.de/download/3ca8fab8-6476-41f4-b035-d441e3886d67/d478cd0619f43ca86ee84996201d0e57.pdf

[5] Amundi Shareholder Mitteilung, 2.12.2022

[6] https://etf.dws.com/de-de/AssetDownload/Index/6275b943-14e3-4a1b-8780-a64ef9fcfca3/02-12-2022-Xtrackers-(IE)-plc-AEnderungen-an-den-SFDR-Offenlegungen-Mitteilung-an-die-Aktionaere.pdf/

[8] https://www.easy.bnpparibas.de/privatanleger-privat/sfdr-reclassification/

[9] http://data.europa.eu/eli/reg_del/2022/1288/oj

[11] https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/sfdr_ec_qa_1313978.pdf

[12] https://www.morningstar.de/de/news/227944/artikel-8-fonds-verzeichnen-im-dritten-quartal-erneut-abfluuml%3bsse.aspx